Bis zu 8.000 seltene Erkrankungen sind heute bekannt. Nicht einmal 500 davon können derzeit gezielt behandelt werden. Das ist enorm belastend für die Patient*innen, darunter hauptsächlich Kinder. Forscher arbeiten daran, diese Situation zu ändern. Die Gentherapie ist möglicherweise ein Schlüssel: Denn der Großteil der seltenen Erkrankungen wird durch Gendefekte ausgelöst.
Von der lce Bucket Challenge für ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) bis zum Wiener Zoo-Lauf für Kinder mit Lungenhochdruck - es gibt viele Aktionen, die auf seltene Krankheiten aufmerksam machen. Und das ist auch nötig: Denn obwohl rund 500.000 Menschen - darunter 300.000 Kinder - in Osterreich mit einer seltenen Erkrankung leben, sind die meisten Krankheiten in der Bevölkerung unbekannt.1
Mancher hat vielleicht schon einmal von der Hämophilie gehört, umgangssprachlich auch als Bluterkrankheit bezeichnet. Die Erkrankung tritt meist bei Männern und Jungen auf. Die Patienten bluten länger als gesunde Menschen, weil ihre Blutgerinnung gestört ist. Oder von der Schmetterlingskrankheit, Epidermolysis bullosa - eine seltene Hautkrankheit, bei der die Haut der Betroffenen so sensibel ist, dass jede Berührung schmerzt und Verletzungen verursachen kann. Auch Morbus Duchenne ist einigen geläufig. Die ausgeprägte Muskelschwäche tritt meistens bei jungen Buben auf und zwingt die Kinder meist schon sehr früh in den Rollstuhl.
Obwohl diese Krankheiten unterschiedliche Symptome haben, haben sie eines gemeinsam: Sie werden durch ein defektes Gen im Körper ausgelöst. Insgesamt trifft das auf acht von zehn aller bekannten seltenen Erkrankungen zu.
Um die Situation für Patient*innen zu verbessern, suchen Forscher*innen unter anderem nach Behandlungsansätzen, die diese Gendefekte ausgleichen. Das ist - vereinfacht gesagt - das Grundprinzip der sogenannten vektorbasierten Gentherapie: Funktionierende Gene werden in menschliche Zellen eingebracht. Dort sollen sie das fehlerhafte Erbgut durch funktionsfähige Gene kompensieren. Eine erfolgreiche Gentherapie hat damit das Potenzial, die Ursache einer genetisch verursachten, seltenen Krankheit zu bekämpfen. Und könnte sie theoretisch heilen. Bei anderen gentherapeutischen Behandlungsansätzen versucht man die Expression (also wie oft die Information eines Gens abgelesen und zu einem Protein umgeschrieben wird) zu regulieren oder zukünftig auch den Gendefekt gezielt zu korrigieren.
Dr. Manfred Windisch, medizinischer Experte für seltene Erkrankungen bei Pfizer Austria, erklärt: ,,Die Medikamente, die bisher verfügbar sind, müssen regelmäßig angewendet werden und sie können meist nur Symptome lindern oder das Fortschreiten der Krankheit einbremsen. Die Gentherapie zielt hingegen darauf ab, genau das zu ersetzen, was nicht funktioniert. Damit bietet sie spannende neue Möglichkeiten für Patient*innen. Und das möglicherweise mit nur einer einzigen Behandlung."
So einfach der Ansatz hinter der Gentherapie klingt, so schwierig ist die Umsetzung. Die größten Herausforderungen: ein gesundes Gen isolieren und es an die richtige Stel!e im Körper bringen.
Dazu gibt es mehrere Methoden. Eine ist die sogenannte Transduktion. Dabei wird ein Virus als Vektor- also Transportmittel - eingesetzt, um das therapeutische Gen in die menschliche Zelle zu bringen. Aber: Nicht jeder Virus ist für den Gentransport geeignet.
Dr. Windisch erklärt weiter: ,,Vektoren dienen als Transportmittel, um ein intaktes Gen in ein spezifisches Zielgewebe zu bringen. Die Vektoren sind dabei nach sogenannten adeno-assoziierten Viren modelliert: Alle krankheitsauslösenden Komponenten wurden entfernt und durch ein funktionierendes Gen ersetzt. Wenn der Vektor seine Zielzelle erreicht, wird das Gen übertragen und als genetischer Bauplan verwendet, um daraus wieder die fehlenden oder nicht funktionierenden Proteine herzustellen." Doch wann werden solche Therapien standardisiert und verfügbar sein?
Pfizer konzentriert seine Gentherapie-Forschung im Bereich seltener Erkrankungen derzeit auf jene Krankheiten, die durch einen einzelnen Gendefekt ausgelöst werden - zum Beispiel Hämophilie (Bluterkrankheit) oder Morbus Duchenne (eine seltene Muskelerkrankung).
Manche virale Vektoren, die bei Gentherapien als sog. 'Gentransporter' eingesetzt werden, können ein erhöhtes Risiko für den Einbau des therapeutischen Gens an Stellen im Erbgut mit sich bringen, welche wichtige Gene für die Kontrolle der Zellteilung enthalten. Im schlimmsten Fall könnte das zur Entwicklung von Tumoren führen. Bei der Verwendung von AAV Viren ist das unwahrscheinlich, aber theoretisch, in seltenen Fällen, möglich. Bis dato gibt es dazu aus der klinischen Forschung aber noch keine Berichte.
Bundesministerium für Gesundheit: Nationaler Aktionsplan für seltene Erkrankungen in Österreich. URL: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Seltene-Krankheiten.html (Letzter Zugriff: Dezember 2022).
Horgan, D. et al. (2020): Propelling Healthcare with Advanced Therapy Medicinal Products: A Policy Discussion. In: Biomedicine Hub
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Rossor, A. et al (2018): Antlsense oligonucleotides and other genetic therapies made simple. In: PractNeurol 18, S.126-131
High. K. &RoncaroloM. (2019): Gene Therapy. In: New England Journal of Medicine 381, S.55
Goswami, R. et al (2019): Gene Therapy Leaves a Vicious Cycle. In: Frontiers in Oncology 9, S.297
Lundstron,K. (2018): Viral Vectors in Gene Therapy. In: Diseases 6(2), S.2
Shirley, J. et al (2020): immune Responses to Viral Gene Therapy Vectors. In: Molecular Therapy 28(3), S.709-722
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