Die Covid-19-Pandemie hat vieles verändert, unter anderem den Ablauf und die Durchführung klinischer Studien zur Erforschung neuer Arzneimittel. Um den pandemiebedingten Anforderungen gerecht zu werden, haben Forscher*innen und Behörden verstärkt auf neue Technologien gesetzt. Gleichzeitig durfte die Durchführung der Studien selbst nicht unter den veränderten Bedingungen leiden. Dadurch haben elektronische Patienten-Tagebücher, Fern-Monitoring von Studienstandorten, Nutzung von sogenannten Real-World-Daten oder der verstärkte Einsatz von künstlicher Intelligenz noch weiter an Bedeutung gewonnen.
Die Erforschung eines neuen Medikaments oder Impfstoffes ist ein streng kontrollierter Prozess. Hauptbestandteil sind so genannte klinische Studien: Hier werden Wirksamkeit und Sicherheit in mehreren Stufen unter genau definierten Bedingungen an bestimmten Personengruppen untersucht. Die Studienteilnehmer*innen kommen im Zuge dieser klinischen Prüfungen normalerweise regelmäßig zu den Prüfärzt*innen in die Forschungseinrichtungen – in den meisten Fällen Krankenhäuser. Genau dieser Schritt war allerdings durch das Coronavirus im Frühjahr 2020 nicht mehr möglich: Patient*innen mussten im Lockdown zu Hause bleiben, die Gesundheitssysteme waren überlastet und klinische Studien kamen zum Stillstand. Was tun?
Für die Forschungseinrichtungen war die Lösung rasch klar: Um auf die besonderen Bedingungen während der Pandemie reagieren zu können, musste die Digitalisierung beschleunigt werden. Forscher*innen und Aufsichtsbehörden haben deswegen intensiv daran gearbeitet, technologische Fortschritte effizient zu nutzen. Wichtig war dabei allerdings, dass es keine Abstriche bei der Sicherheit der Teilnehmer*innen und der Studiendurchführung gab. So führte Pfizer beispielsweise zahlreiche Studien durch, bei denen Arztbesuche „virtuell“, im Sinne einer telemedizinischen Konsultation, möglich waren. In Impfstoffstudien mussten die Teilnehmer*innen zwar für die beiden Injektionen in die Klinik kommen, während der gesamten Studiendauer konnten sie allerdings über ein elektronisches Tagebuch von Zuhause aus über ihren Gesundheitszustand berichten. In Zukunft können diese neuen Möglichkeiten helfen, auch Bevölkerungsgruppen zu
erreichen, die nicht so einfach in Kliniken und Forschungseinrichtungen kommen können oder wollen. Darüber hinaus wird die Qualität der gesammelten Informationen um eine Facette reicher, da sie direkt von den Patient*innen kommen (und deren Befindlichkeit gut widerspiegeln). Außerdem liegen die Daten in Echtzeit vor, da nicht auf den nächsten Untersuchungstermin gewartet werden muss.
Zu den größten Veränderungen bei Pfizer gehört die flächendeckende Einführung des Fern-Monitorings von Studienstandorten. Mitarbeiter*innen oder Vertragspartner der klinischen Forschungsabteilung des Unternehmens (Clinical Research Associates, CRAs) haben bisher die Forschungsstandorte regelmäßig besucht, um Patientendaten und andere Studieninformationen zu prüfen. Während der Pandemie durften allerdings oft nur unbedingt erforderliche Mitarbeiter*innen in Gesundheitseinrichtungen arbeiten. Die Entwicklungsteams passten sich rasch den neuen Bedingungen an: Es wurden gesicherte Datenspeicherplattformen implementiert. Auf diesen können CRAs über eine geschützte Verbindung zugreifen und so Studiendaten sicher von außerhalb prüfen.
Ein weiterer Bereich, den die Pandemie maßgeblich befeuert hat, ist die Nutzung von sogenannten „Real-World-Daten“ (RWD). Diese Gesundheitsinformationen werden nicht in klinischen Studien, sondern im Versorgungsalltag anonymisiert gesammelt und analysiert. Dazu zählen vor allem klinische und administrative Daten wie beispielsweise elektronische Patientenakten, medizinische Register oder Verordnungsdaten der Sozialversicherungsträger. Diese Informationen sind eine äußerst wertvolle Ergänzung zu den Erkenntnissen, die in klinischen Studien gewonnen werden und geben unter anderem Einblicke in unterschiedliche Krankheitsverläufe. Real-World-Daten liefern auch nach Zulassung eines Arzneimittels zusätzliche Einblicke, wie sich das Medikament in der täglichen Anwendung bewährt. Der Umfang der Nutzung solcher Daten ist jedoch je nach Land sehr unterschiedlich.
Während einer Pandemie sind Erkenntnisse aus Real-World-Daten Teil der Entscheidungs- und Argumentationsgrundlage für die Gesundheitspolitik.
Sie erlauben einen Überblick über den Status quo und einen Prognoserahmen über den weiteren Pandemieverlauf.
Sie ermöglichen die Planung und Beurteilung von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.
Für Gesundheitseinrichtungen sind sie für die gezielte Planung von Ressourcen von Bedeutung.
Sie liefern zusätzliche Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten für Impfstoffe und Therapeutika.
Künstliche Intelligenz (KI) kann dabei helfen, aus großen Mengen an Daten Erkenntnisse zu gewinnen. Sie kann zum Beispiel Vorhersagen treffen, wie sich unterschiedliche Therapien auf den Krankheitsverlauf auswirken werden. Dazu wird dem Computer „beigebracht“, in großen Datensätzen Muster zu erkennen und auf andere Datensätze anzuwenden. Der große Vorteil: KI ist in der Lage, sehr rasch riesige Datenmengen zu durchforsten und kann in fast allen datenintensiven Bereichen angewendet werden. In der pharmazeutischen Industrie unterstützt sie die rasche Identifizierung möglicher Wirkstoffe oder Wirkstoff-Kombinationen. Zum Beispiel ist es mit Hilfe eines Verfahrens, das künstliche Intelligenz und Cloud-Computing nutzt, möglich, innerhalb nur weniger Tage die dreidimensionale Struktur eines Wirkstoffmoleküls zu errechnen. Ohne diese Technologie würden Forscher*innen dafür Monate benötigen!
Eine Analyse ist freilich nur so gut wie die Daten, die ihr zugrunde liegen. Sind die Daten von mangelhafter Qualität (z.B. durch fehlerhafte Eingaben in Patientenakten und mangelnde Qualitätskontrolle), so legen die Analysen potenziell sogar falsche Schlüsse nahe! Dazu kommt, dass das Training von KI-Anwendungen sehr energieaufwändig ist. KI nützt also eine wertvolle Ressource und sollte sehr gezielt zum Einsatz kommen.
Der Arbeit mit Künstlicher Intelligenz liegen andere Prinzipien zugrunde als im klassischen naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Letzterer beruht auf dem Erarbeiten und Testen von Hypothesen, um auf Kausalität schließen zu können. Mit Hilfe der KI hingegen werden in erster Linie statistische Zusammenhänge gesucht und gefunden, die nicht notwendigerweise kausal sind. Man kann die KI jedoch im Dienst der Naturwissenschaft einsetzen, zum Beispiel, um aus großen Datensätzen Hypothesen zu generieren, die danach experimentell geprüft werden. Die Nutzung von KI bedeutet also nicht, wie mancherorts zu lesen, das „Ende der Theorie“, sondern kann die Naturwissenschaft entscheidend bereichern und beschleunigen – wissenschaftliche Sorgfalt vorausgesetzt.
Niemand ist gerne Patientin oder Patient. Gesundheitsdaten gehören zu den sensibelsten Informationen über uns. Sie sind wichtig, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, müssen aber gleichzeitig mit äußerster Vorsicht behandelt werden. Dazu gehört, dass sie nur in pseudonymisierter bzw. anonymisierter Form verarbeitet werden dürfen – also ohne Rückschluss darauf, zu wem sie gehören. Den Rahmen für den Umgang mit Gesundheitsdaten gibt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vor, dazu kommen nationale Gesetze. Übrigens: Auch Sicherheitslücken müssen vermieden werden, um den mutwilligen Einsatz von Schadsoftware durch externe Personen zu verhindern.
All diesen Herausforderungen muss man rechtzeitig und konsequent begegnen: Daten müssen gründlich auf ihre Qualität überprüft werden, und die Interpretation muss durch Expert*innen erfolgen. Die Privatsphäre muss unter allen Umständen in gesetzeskonformer Weise gewährleistet sein, und die eingesetzten Technologien müssen sich stets am aktuellen Stand befinden.
Nur dann kann das Zusammenspiel von Mensch und Maschine auch funktionieren und das enorme Potenzial der Digitalisierung zum Wohle aller genutzt werden.
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