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TextbeschreibungStartseiteTextbeschreibungCED-Podcast Folge 22. Folge: Chronisch entzündliche Darmerkrankungen und die Psyche

Moderator: Hallo und herzlich Willkommen bei verrücktes Immunsystem, deinem Podcast rund um ein selbstbestimmtes und achtsames Leben mit Autoimmunerkrankungen im Darm, auf der Haut oder in den Gelenken. Essen sensible Bäuche anders? Haben innere Konflikte eine Auswirkung auf die Entwicklung einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa? Welche Aktivitäten tun mir gut und reduzieren inneren Stress? Wie gehe ich mit einem Schub im Ausland um? Und wo finde ich Austausch und Unterstützung?

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Körper und Psyche bilden bekanntlich eine Einheit. Nach der gestellten Diagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn fühlen sich Betroffene oft überfordert und hilflos. Es kann zu psychischen Problemen kommen, welche die Krankheitssymptome verstärken und die Lebensqualität sinken lassen können. Wie du deine Erkrankung besser annehmen und die Freude am Leben zurückgewinnen kannst besprechen wir heute mit unseren CED-Experten Univ. Prof. Dr. Clemens Dejaco und Dr. Thomas Haas. Nun bitte ich Sie, Univ. Prof. Dr. Dejaco sich und Ihre Tätigkeit kurz vorzustellen.

Dr. Dejaco: Ja ein Hallo und einen schönen Tag. Es freut mich sehr, dass ich heute eingeladen worden bin diesen Podcast gemeinsam mit Ihnen zu gestalten. Ich werde hier mit meinem Kollegen und Freund Thomas Haas konferieren über dieses Thema. Ich selber bin am AKH in Wien tätig, an der Universitätsklinik für Gastroenterologie und Hepatologie. Ich bin dort stationsführender Oberarzt und betreue dadurch natürlich auch Crohn und Colitis Patienten an der Station als tertiäres Zentrum und habe aber im Rahmen meiner Ausbildung, vor allem auch in der Crohn Ambulanz sehr viel Zeit verbracht und gearbeitet. Das ist auch der Bereich, wo ich wissenschaftlich gearbeitet habe, geforscht habe, mich habilitiert habe. Und was vielleicht ganz interessant ist, dass im Laufe meiner Karriere berufsbegleitend eine Psychosomatik Psychotherapie Ausbildung dazugekommen ist, die mir sehr nützt und hilft und die natürlich auch ein großer Vorteil ist mit Patienten und gastrointestinalen Störungen, ganz allgemein. Da ganz besonders mit Patienten mit funktionellen Störungen und natürlich Patienten mit Crohn und Colitis. Und ja, das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum ich auch heute hier eingeladen worden bin.

Moderator: Dankeschön. Darf ich auch Sie Dr. Haas um eine kurze Vorstellung bitten.

Dr. Haas: Ja ein herzliches Grüß Gott auch von meiner Seite. Herzlichen Dank für die Möglichkeit, dass wir hier gemeinsam für Sie da draußen den Podcast machen. Wir werden uns bemühen, dass wir die nächsten Minuten spannend und informativ für Sie gestalten. Ich darf mich kurz vorstellen, ich bin inzwischen 55 geworden, beschäftige mich also schon seit vielen vielen Jahren mit Gastroenterologie und speziell eben mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Und ja ich bin inzwischen im niedergelassenen Bereich tätig. Ich war 21 Jahre lang im Krankenhaus, in Salzburg, und bin jetzt in die Praxis gegangen, aus verschiedenen Gründen, die zu weit führen würden und ich habe hier auch die Möglichkeit sozusagen nicht nur innerhalb von einigen Minuten die Patienten zu betreuen, sondern auch ein bisschen tiefer zu gehen. Und ich bin sehr froh, dass wir die Möglichkeit haben jetzt auch mit dem Clemens Dejaco, mit dem mich ja jetzt auch eine vieljährige Kollegschaft und inzwischen auch Freundschaft verbindet und der ja auch ein ausgewiesener Experte in dem Gebiet ist, uns da zu unterhalten.

Moderator: Vielen Dank. Ich darf Sie nun bitten unseren Zuhörerinnen und Zuhörern mehr zum verrückten Immunsystem mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn und dem Zusammenhang mit der Psyche zu erzählen.

Dr. Dejaco: Ja Thomas, das ist unser Thema heute. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen und das verrückte Immunsystem. Ich kann mich noch erinnern, als ich begonnen habe, knapp 25 Jahre her, damals gab es noch alte Lehrbücher, also das heißt das ist jetzt schon sehr sehr lange her, wo gestanden ist, dass die Colitis ulcerosa eine der klassischen psychosomatischen Erkrankungen ist. Seither ist viel geschehen und man weiß auch, dass das widerlegt ist. Das ist etwas was ich in meinen Vorträgen immer wieder sage und darauf hinweise, aber wie schaut es jetzt aus in der Realität? Wie siehst du das mit der psychischen Mitbeteiligung oder mit der Rolle der Psyche bei diesen Erkrankungen?

Dr. Haas: Naja was heißt denn Psychosomatik? Psychosomatik heißt, dass sozusagen die Seele und der Körper in einer Beziehung stehen, in einer Wechselbeziehung stehen und - no na - das ist ja ganz logisch, wir bestehen ja nicht nur aus Seele und nicht nur aus Körper, aber es ist natürlich im klassischen, im engen Sinn keine psychosomatische Erkrankung die jetzt durch irgendeine spezielle Persönlichkeitsstruktur, durch irgendeine bestimmte biographische Erfahrung et cetera ausgelöst wird. CED - chronisch entzündliche Darmerkrankungen - sind komplexe, multifaktorielle Erkrankungen und es konnte nie seriös in Studien gezeigt werden, dass es wirklich einen bestimmten psychischen Auslöser gibt, dass ich dadurch CED bekomme. Aber es ist natürlich so, dass sich das natürlich Wechselseitige extrem beeinflusst.

Dr. Dejaco: Wie siehst du das jetzt? Also nachdem ja glaub ich uns beiden klar ist, dass es jetzt kein Persönlichkeitstyp ist, der dazu führt, dass diese Erkrankung entsteht. Wie siehst du das bei deinen Patienten, wie reagieren sie darauf, wenn sie mit ihren Beschwerden kommen und dann die Diagnose von dir gestellt wird, also wenn sich das bewahrheitet, was du vielleicht schon vermutest, wenn ein junger Patient mit längeren Durchfällen und blutigen Durchfällen und Schmerzen zu dir kommt. Wie wird das aufgenommen, wie reagieren sie, wenn du sie mit der Diagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung konfrontierst?

Dr. Haas: Naja am Anfang, das weiß man ja eh von sich selbst auch, wenn etwas mit mir nicht stimmt. Wenn etwas Neues ist, wenn ich plötzlich Durchfälle habe, Blut im Stuhl bemerke, dann löst das zuerst einmal Angst aus. Irgendetwas ist mit mir los, irgendetwas stimmt nicht, ich habe vielleicht Gewicht abgenommen, ich habe Bauchschmerzen, das hält an, ich habe es eine Zeit lang ignoriert und schließlich mich dann doch aufgerafft das abklären zu lassen. Und ich habe natürlich jetzt Angst und ich bekomme jetzt eine Diagnose, die meinen Alltag ziemlich radikal durcheinanderbringt und da kommen viele Fragen hoch, die einfach unser Leben betreffen. Und da gibt es natürlich die zwei wesentlichen Pfeiler in unserem Leben die uns beeinflussen. Das ist einerseits das Privatleben, Beziehung. Welchen Einfluss hat das auf meine Beziehung in allen Dimensionen, die man sich vorstellen kann. Und natürlich auch beruflich, was bedeutet das beruflich? Werde ich ausfallen, bin ich krank. Mir wurde gesagt ich habe ein akutes Risiko operiert zu werden und so weiter. Ich brauche eine Therapie länger, falle ich aus, was bedeutet es für meine Karriere? Die meisten Patienten sind im Aufbaualter zwischen 20 und 30, wenn sie diagnostiziert werden. Die sind jung, sie wollen Familien gründen, sie wollen vielleicht beruflich etwas weiterbringen, sie stehen in der Ausbildung. Also da entsteht einmal zunächst sehr viel Angst und Verunsicherung.

Dr. Dejaco: Ja ich denke, dass das etwas ist, was für jeden von uns nachvollziehbar ist, dass diese Diagnose natürlich einen ganzen Rattenschwanz an Sorgen und Ängsten mit sich führt. Hättest du jetzt aber in deiner langjährigen Erfahrung den Eindruck, dass diese Patienten per se häufiger depressiv sind, häufiger Angststörungen haben, dass die häufiger aggressionsgehemmt sind oder dass die irgendwelche Auffälligkeiten bieten? Ich weiß selber, dass man, wenn man frisch in einer Crohn-Ambulanz ist, wenn vor allem junge Patienten kommen und man die sehr besorgten Eltern klarerweise sieht, dass es einen verleiten könnte hier eine Ursächlichkeit auch zu sehen und je länger man mit diesen Patienten zu tun hat, eigentlich umso mehr erkennbar wird, dass diese Erkrankung natürlich eine große Gefahr mit sich bringt, dass man sich auch psychisch verändert. Was aber durch die Symptome, durch die Beschwerden und durch die Beeinträchtigung gegeben ist. Also siehst du hier gehäuft Angst und Depression schon am Anfang der Erkrankung?

Dr. Haas: Muss ich bejahen und auch wenn man in die Literatur schaut ist es so, dass es gegenüber der Normalbevölkerung dann doch ein etwas erhöhtes Risiko für depressive Reaktionen, Episoden gibt und auch natürlich Angst. Was aber nicht primär, würde ich sagen, etwas Pathologisches ist. Angst ist ja nicht immer krankhaft. Angst ist ja auch etwas was uns schützt, was uns immer begleitet im Leben. Und wir werden immer wieder Situationen, insbesondere Neuem, Ungewohntem gegenüberstehen, wo uns Angst befällt. Das ist ja nicht von vornherein was Negatives oder was Pathologisches. Es kann natürlich, wenn es ein gewisses Ausmaß übersteigt und zu einer zu starken Beeinflussung des generellen Lebens führt, schon zu einem Problem werden und sich insbesondere negativ auswirken auf den Krankheitsverlauf und das ist aus meiner Sicht der springende Punkt, warum man diese psychischen Komorbiditäten, also diese Veränderungen, die eine negative Auswirkung auf den Verlauf der körperlichen Erkrankung haben, warum man die unbedingt erkennen und auch nach Möglichkeit behandeln sollte.

Dr. Dejaco: Ja da nimmst du mir jetzt meine Frage vorweg, nämlich wenn man das erkennt, ich glaube auch da ist es so, dass man sich Zeit nehmen muss für ein Gespräch, dass man es bemerkt, ob jemand ängstlich ist, ob jemand vielleicht auch depressiv ist. Sprichst du das an, wenn du das erkennst? Würdest du da gleich an eine medikamentöse Therapie denken? Siehst du das in der Aufgabe eigentlich von uns Gastroenterologen oder glaubst du, dass wir hier sofort Psychotherapie, Psychiater hinzuziehen sollen? Wie gehst du damit um, wenn du, wenn dir so etwas auffällt bei unseren Patienten?

Dr. Haas: Der wichtigste Punkt ist, dass es einem auffällt, und dafür sind wir wie du selbst weißt eigentlich von der Uni her mangelhaft ausgebildet. Das sind halt auch Fähigkeiten, die man jetzt nicht unbedingt auf der Uni lernt und die man vielleicht von früher schon mitbringen muss. Ohne Empathie geht’s nicht, ja und ganz am Anfang, wenn eine Patientin, ein Patient neu kommt dann geht es in erster Linie darum in Beziehung zu kommen. Es ist die Beziehungsarbeit, der Beziehungsaufbau, das ist einmal das Erste. Und nur wenn ich eine gute, wenn es mir gelingt, eine gute Beziehung aufzubauen zu der Patientin, zu dem Patienten, zu euch da draußen, dann werden wir diese Strecke, diesen Weg auch gemeinsam gut schaffen. Dann werden wir miteinander reden können und wir werden Vorteile, Nachteile, Risiko, Nutzen gut besprechen können, wenn wir eine Beziehung haben. Also Beziehungsaufbau ist der allererste Punkt. Und natürlich wird man im Erstgespräch neben der gesamten körperlichen Abklärung auch darauf achten, ob es nicht nur außerhalb des Darms, in den Augen, an der Haut, an den Gelenken irgendwas gibt, sondern natürlich auch wie die psychische Situation ist. Weil ich ja auch mit dem Patienten entsprechend reden muss, jeder Mensch hat andere Ressourcen zur Verfügung, Bewältigungsstrategien, Coping Strategien wie man es nennt, wie er damit umgeht das hängt von den Vorerfahrungen ab, vom Charakter und von den individuellen Möglichkeiten. Die muss ich erst einmal kennen, ich muss den Menschen kennenlernen. Dafür brauche ich wieder Kommunikation. Reden, reden, reden. Und das ist das, was heute im Betrieb, im Medizinbetrieb wo es nur mehr um Kosteneinsparungen geht, einfach viel zu kurz kommt. Und das ist natürlich der Knackpunkt und der Schlüssel zum Erfolg für jede Arzt-Patienten Beziehung.

Dr. Dejaco: Ja Thomas, da sprichst du mir zutiefst aus der Seele. Das ist auch mein Empfinden, dass das ganz ganz wesentliche Punkte sind. Und das was halt typisch für unser Leben ist, ist dieser Zeitmangel, der uns, vor allem uns Ärzte, im Spital permanent begleitet. Es ist in den Ambulanzen so, dass wir sehr oft wechselnde Ärzte haben, die Patienten sehen, was bei chronisch Erkrankten eigentlich ein Unding ist, dass hier nicht die Vertrauensperson immer wieder vorhanden ist. Und es ist natürlich der Zeitmangel, der Druck, der auf uns allen lastet. Sicherlich auch im niedergelassenen Bereich. Wie ist denn das? Ich bemerke das immer wieder, dass Patienten, wenn sie sozusagen verunsichert sind, weil viele haben ja schon eine Ahnung oder eine Furcht, wenn sie diese Beschwerden haben und dann zu dir als Arzt kommen und wissen, jetzt bin ich beim Gastroenterologen und vielleicht haben sie auch schon gegoogelt und denken: Hoffentlich habe ich keinen Crohn, Colitis. Ich habe auch gemerkt schon Patienten, die sagen: hoffentlich habe ich diese Erkrankung nicht, oder: um Gotteswillen, obwohl sie gar nicht die entsprechende Information dazu haben. Aber es ist sehr häufig so, dass immer jemand schuld sein muss, immer jemand verantwortlich sein muss. Und wie gehst du damit um, wenn hier Patienten kommen, die eigentlich eine klare Idee haben, dass das an der Ernährung liegt oder wer daran schuld ist, sei es ein Umfeld oder ein Auslöser für ihre Erkrankung? Siehst du das auch?

Dr. Haas: Jetzt kommen wir fast schon in eine philosophische Dimension, was aber natürlich total spannend ist. Dieses Schuld suchen kommt ja von den Juristen in Wahrheit, denke ich, und es muss immer irgendeinen geben, der verantwortlich ist. Der dann letzten Endes vor Gericht zahlt, damit der Anwalt und der Patient ein bisschen manchmal was dazu verdienen können. Es muss immer einen Schuldigen geben, aber es gibt nicht immer einen Schuldigen, weil Dinge einfach passieren. Und Schuld ist etwas, was eine Negativspirale auslösen kann, denn das macht den Patienten unglücklich, der ohnehin schon in einer labilen seelischen Verfassung ist. Sich dann noch zusätzlich schuldig zu fühlen, hilft in keiner Weise weiter. Unsere Aufgabe und unser Job ist es, den Patienten zu bestärken und im Idealfall aus seiner passiven Rolle rausholen, in die er hineinmanövriert worden ist, weil er diese Diagnose hat und weil er nicht weiß, jetzt akut wie er damit umgehen soll und wie das weitergehen wird und verunsichert ist. Wir müssen ihn aus dieser Sackgasse, aus diesem passiven Eck herausholen und wir müssen ihn bestärken seine eigenen Ressourcen sozusagen zu finden und zu verwenden und damit in eine aktive Rolle zu kommen. Weil in dem Moment wo man sozusagen wieder aktiv gestaltend an dem ganzen Prozess teilnehmen kann, in dem Moment ist vieles an Last abgefallen. Und wenn ich jetzt da noch herkomme und sage „Na hätten Sie das nicht gegessen, hätten Sie kein Bauchweh gehabt“, ist ja völliger Schwachsinn natürlich.

Dr. Dejaco: Danke für die klaren Worte. Das ist glaube ich ganz ganz wichtig darauf hinzuweisen. Ja Thomas, da werfen sich jetzt zwei Fragen auch auf natürlich, wenn wir diese Patienten behandeln: Einerseits die modernen Therapiemöglichkeiten, die wir jetzt haben bei diesen Patienten, verbessern die dann auch die psychische Befindlichkeit? Einerseits. Und andererseits, wenn du bei einem Patienten merkst, dass hier eine chronische Angststörung oder Depression vorhanden sind und wenn dann diese Komorbidität oder diese Begleiterkrankung behandelt werden, sei es medikamentös oder auch psychotherapeutisch, inwieweit siehst du da einen Einfluss auf die Lebensqualität und den Verlauf von der chronischen Darmerkrankung?

Dr. Haas: Natürlich ist es so, dass eine erfolgreiche medikamentöse Therapie der Entzündung, der Aktivität der chronisch entzündlichen Darmerkrankung, sehr positiv ist und sich gut auswirkt auf den Verlauf der psychischen Belastung. Es führt zu einer Entlastung. Ich darf vielleicht als praktisches Beispiel heranziehen: Durchfall kann ja, das kann sich ja einer der sozusagen nicht damit zu tun hat und nicht selbst erlebt hat, nicht vorstellen, was Durchfall bedeuten kann. Es gibt ja Menschen, wir alle kennen diese Patienten, die einfach so Angst haben vor einer Inkontinenz oder das vielleicht auch schon mal erlebt haben, dass sie sich immer mehr zurückziehen. Ja, dass sie, bis dahin das Haus nicht verlassen, die planen. Ich habe Patienten, die planen ihren Weg, mit wenn sie reinfahren mit dem Auto anhand von Toiletten. Wo kann ich hineinspringen, wenn ich plötzlich das nicht mehr halten kann und Bauchkrämpfe kriege und mich entleeren muss. Das ist mit Scham verbunden, mit Peinlichkeit, mit Angst, dass ich das nicht kontrollieren kann. Kontrollverlust. Also das sind extrem belastende Dinge und wenn ich solche Symptome natürlich bessern kann, durch effektive medikamentöse Therapien und gottseidank können wir das heute in den allermeisten Fällen, na dann ist das natürlich eine massive Entlastung für den Patienten und wird sich sicherlich positiv auswirken. Auch auf die seelische Verfassung. Darum ist es ganz wichtig, sozusagen, das natürlich immer möglichst effektiv zu behandeln. Nicht nur sozusagen, um die Symptome zu bessern, sondern auch um die Schädigung des Organs Darm hinten anzuhalten. Wo ich dann sozusagen, schließlich nur mehr eine Narbe habe, weil so viel Entzündung über viele Jahre ist, dass es dann einfach kaputt ist und nicht mehr von daher funktioniert, aber natürlich hat das einen sehr sehr großen Einfluss.

Dr. Dejaco: Ja das ist ganz klar eigentlich, das Konzept, dass man sagt Erkrankungsdiagnose, Symptome, Beschwerden, die die Lebensqualität in den verschiedensten Bereichen, die du uns jetzt geschildert hast, massiv beeinflussen und dann eine Therapie, die zum Abklingen der Entzündung führt und dadurch auch die Lebensqualität besser wird. Also das ist eigentlich dieses klare Konzept, dass wenn die Erkrankung, die Entzündung behandelt wird, erfolgreich, dass dann die Lebensqualität sich auch entsprechend wieder verbessert. Ich glaube das ist ein sehr wichtiger Punkt, weil man das auch unseren Zuhörern sagen kann, dass glücklicherweise in allen Therapiestudien, die in den letzten Jahren ja durchgeführt worden sind, die Lebensqualität inzwischen immer zumindest ein sekundärer Studien Endpunkt geworden sind. Wenn wir uns ganz ganz früher halt wirklich nur orientiert haben nach Stuhlfrequenzen, nach Schmerz, ist es jetzt so, dass bei allen neuen Präparaten, die getestet werden, immer die Lebensqualität mit dabei ist in den Studien. Und dass, wenn ein Medikament zugelassen werden möchte, es auch hier zeigen muss, dass es sozusagen auf die Qualität des Lebens einen signifikant positiven Einfluss hat. Jetzt stellt sich natürlich aber dann die Frage andersherum, auch wenn wir jetzt davon ausgehen, dass wir eben die Depression und Angst erkennen und wir hier eine Behandlung anstreben, bringt das was für die Entzündung? Bringt das was, wie es im Darm ausschaut, an der Schleimhaut aussieht, wie sich das Calprotectin verhält? Hast du da Erfahrungen?

Dr. Haas: Das kann man jetzt auch natürlich von verschiedenen Ebenen betrachten. Neuroimmunbiologisch gibt es natürlich viel Forschung, und natürlich ist es auch so, unter anderem über Cortison, dass sich das wechselseitig beeinflusst und wir wissen alle, dass Stress hier eine negative Rolle spielt. Es gibt den Begriff, der inzwischen ja allgemein geläufig ist, der des Bauchhirns und der Großhirn-Bauchachse, die hier in enger Verbindung stehen, die teilweise auch durchaus eine gemeinsame Sprache sprechen. Es gibt die gleichen Botenstoffe, es gibt letzten Endes im Darm wesentlich mehr Nervenendigungen als im gesamten zentralen Nervensystem. Also da gibt es extrem viel Kommunikation. Wir haben auch gelernt, in den letzten Jahren zunehmend, dass auch unser Mikrobiom, also das was man früher als Darmflora bezeichnet hat, die Gesamtheit der Mikroorganismen in uns drinnen, dass das sehr viel Einfluss haben kann. Aber das würde jetzt alles sehr viel zu weit führen und da könnte man sehr lange darüber reden. Also wir sind sozusagen schon auch irgendwie gesteuert und alles ist eine Wechselwirkung. Der Mensch ist ein Gesamtkunstwerk und man kann ihn keinesfalls aufschlüsseln. Bio-, psycho-, sozio- kulturell ist das Schlagwort.

Dr. Dejaco: Ja, das ist eine sehr umfassende breite Antwort gewesen. Wenn du dich diesem Aspekt jetzt der Gesamtheit näherst, würdest du sagen, in der normalen Arzt-Patient Beziehung zu deinen Patienten, schaffst du das, das abzudecken? Oder arbeitest du mit Psychotherapeuten oder Psychiatern zusammen, dass, wenn du erkennst, dass hier sozusagen die psychische Komponente einen wesentlichen Part in der Erkrankung, in der Verringerung der Lebensqualität eine Rolle spielt, arbeitest du da zusammen? Hast du da sozusagen ein Netzwerk dir geschaffen oder versuchst du das selber über deine Arzt-Patient Beziehung mitzubetreuen und mitzubeachten?

Dr. Haas: Auch da gibt es wieder Aspekte und es bringt mich immer wie auch in einen Entscheidungsnotstand und in Zugzwang, die Entscheidung zu treffen, möglichst vielen Patienten sozusagen eine Versorgung, eine Betreuung anzubieten. Und es ist leider so, dass im Krankenhaus, du hast das eh schon erwähnt, dass es wenig Kontinuität gibt. Es ist immer wer anderer da, es dauert ewig mit Terminen, es ist schwierig teilweise überhaupt in Zeiten von Covid. Und CED Patienten brauchen eine stabile Beziehung zu ihrem Betreuer-Team und auf der anderen Seite braucht es dann aber natürlich für mich als Betreuer viel mehr Zeit, und das Reden und die Beziehung muss natürlich auch gepflegt werden und braucht auch Zeit. Ich kenne aber meine Grenzen auch gut und rufe mir das auch wieder in Erinnerung. Ich habe keine Psychotherapie-Ausbildung und ich habe natürlich ein Netzwerk wo ich Patienten dann weiter verweisen kann für eine Therapie. Ich maße mir das auch nicht an, das zu machen. Was ich meinen Patienten, ich sage meinen Patienten auch immer ich kann ihnen nicht versprechen, dass ich ihnen wirklich helfen kann, auch wenn es vieles gibt. Aber was ich ihnen versprechen kann, ich werde mich bemühen, dass wir einen guten Weg für sie finden. Das kann ich ihnen versprechen und da gehört halt alles dazu, ja, da gehört natürlich auch dazu, dass man da ist für die Patienten, wenn sie einen brauchen und dass man erreichbar ist. Ich habe meine Mobilnummer, steht im Internet, die Patienten wissen das. Ich will auch, dass sie sich melden und anrufen, wenn sie 40 Fieber haben unter Immunsuppressiva-Therapie, auch am Sonntag. Das kostet eine gewisse Energie, führt vielleicht daheim im häuslichen Bereich zu Konflikten, aber momentan schaffe ich es noch, wobei ich sagen muss in Zeiten wie diesen kostet das schon extrem viel Energie. Die Patienten sind mehr als sonst, deutlich mehr als sonst, verunsichert, im Moment.

Dr. Dejaco: Ja das sind wahre Worte und ja mein großer Respekt, dass du das hier so offen kundtust. Da muss ich mir fast Sorgen um dich machen, weil wenn du sagst, dass du eigentlich ubiquitär zu jedem Zeitpunkt erreichbar bist, dann kann ich nur sagen: Bitte Thomas pass auch auf dich auf. Auch wir brauchen unseren Rückzug, unsere Ressourcen. Aber wenn wir jetzt von Ressourcen sprechen, also das ist sicherlich eine optimale Form der Behandlung oder der Arzt-Patienten Beziehung, die du versuchst anzubieten, wie ist das, versuchst du in der Therapie, wenn hier diese Problematik besteht auch die Familie des Patienten miteinzubeziehen oder die Selbsthilfegruppen zu aktivieren? Gibt es da sozusagen andere Kanäle, damit das nicht alles an dir haftet? Weil das wird ja ein Rucksack der immer größer und schwerer wird und wir wissen, dass leider Gottes auch die Versorgung nicht besser wird, wen ziehst du da hinzu? Oder wen würdest du da gerne ins Boot holen oder wohin verweist du, dass nicht alles in deiner Ordination übrigbleibt?

Dr. Haas: Ich hole mir natürlich Expertise, wenn ich das Gefühl habe, ich brauche sie und es kommt natürlich immer wieder vor und da bin ich auch sehr froh, wenn ich auch immer wieder mal am AKH bei euch anrufen kann. Oder ins Innsbruck oder wo immer. Und wir sind alle amikal miteinander in der CED Community in Österreich und das ist sehr hilfreich. Und natürlich braucht man manchmal Experten aus der Dermatologie oder Rheumatologie und eben auch aus der Psychiatrie, Psychosomatik und auch da, denke ich, habe ich mir ein Netzwerk aufgebaut, das belastbar ist und gut funktioniert. Aber Clemens, weil du gesprochen hast von Selbstsorge, das ist natürlich etwas, was extrem wichtig ist und das ist auch was, was ich auch nur kurz ansprechen möchte. Das ist etwas, was wir sicher häufig vergessen und was wir zu wenig beachten und ich will nur einen Satz dazu sagen. Am Sonntag wird der Computer nicht eingeschalten und ich versuche auch ganz oft offline zu sein und das ist auch etwas was ich auch meinen Patienten sage. Offline-Zeiten ist ganz eine tolle Idee, die asozialen Medien belasten uns meistens mehr als sie uns bringen.

Dr. Dejaco: Ja das ist eigentlich ein sehr guter Punkt, dass du das auch, was du deinen Patienten rätst für dich selber in Anspruch nimmst und da um Verständnis ersuchst, dass das akzeptiert wird. Wenn wir jetzt von einer guten erfolgreichen Therapie ausgehen, was ja eigentlich das Ziel ist, was wir immer häufiger erreichen können - wie siehst du das von der psychischen Seite her? Würdest du sagen, den Patienten, dass sie damit rechnen können, dass sie wieder ein sorgloses, ein normales Leben im besten Fall führen werden können?

Dr. Haas: Immer wieder. Es wird solche Phasen geben und es wird solche Phasen geben, so wie das Leben halt immer so in Bewegung ist und etwas dynamisches ist. Das ist ja nichts Statisches und auch wir, die keine CED haben, haben auch unsere Problemphasen und schwierigen Phasen. Wir haben unsere Krisen, aber Krisen, das ist auch etwas was ich oft mit der Kommunikation der Diagnose den Patientinnen und Patienten mitgeben möchte, mit der Krise sind immer auch Chancen verbunden. Sozusagen das, was man als Resilienz bezeichnen könnte. Das heißt, die Fähigkeit, dass ich aus etwas Negativem auch etwas Positives gewinne. Ich habe diese Erkrankung. Diese Erkrankung bringt viele negative Aspekte mit sich, aber sie bietet auch Chancen. Das kann man natürlich am Anfang nicht sehen, aber ich kriege dann ein, zwei, drei Jahre später oft das Feedback: „Ich habe etwas gelernt daraus. Ich gehe besser mit mir um. Ich nehme mich selber besser wahr. Es hat zu Beendigungen von Beziehungen geführt. Es hat neue Beziehungen ergeben. Ich habe meinen Arbeitsplatz aufgeben, seitdem geht es mir besser“ und so weiter und so fort, also ich denke, man kann immer auch versuchen in etwas primär Negativem, etwas Positives zu finden und ganz wichtig ist, am Ende sollte die Akzeptanz stehen. Ich glaube das ist das, was wir als Therapeuten oder als Begleiter unserer CED Patienten anstreben sollten. So eine Art Ziel ist, dass die CED einfach auch ein Teil des Lebens der Betroffenen, des Betroffenen wird und dass es natürlich zuerst zu Widerstand und zu Angst und zu Ärger und Wut kommt und das sind die normalen Prozesse. Aber dass am Ende die Akzeptanz steht. Das wird nichts Lineares sein und das wird nicht immer einfach sein, aber es sollte zumindest das Ziel sein, das uns am Ende dann mit der Erkrankung möglichst gut und möglichst unbeschwert leben lässt.

Dr. Dejaco: Thomas, vielen Dank und ganz zum Abschluss, gibt es noch eine Take-Home Message für unsere Zuhörer?

Dr. Haas: Zwei Wörter, alte deutsche, die mir aber gut gefallen. Das eine ist Müßiggang, stirbt aus, ist aber ein sehr schönes Wort. Ich brauche Zeiten, mich zurückzuziehen, um alleine zu sein, um auf mich zurückgeworfen sein, ich brauche Ruhe. Und das zweite ist die Achtsamkeit, ich muss auf mich aufpassen, ich muss die Selbstsorge verbessern. Das beginnt banal bei einer Körperpflege, dass ich mir etwas Schönes kaufe, nett zu mir bin, mich belohne, bis hin zu körperlicher Bewegung, was mir halt guttut, dass ich genügend schlafe und so weiter, und meine eigenen Grenzen respektiere. Dass ich lerne Nein zu sagen. Unsere CED Patienten sind überdurchschnittlich Perfektionisten, solche, die immer hier schreien, die nicht Nein sagen können, die sich nicht abgrenzen können. Das ist extrem wichtig, diese zwei Begriffe: Müßiggang, Achtsamkeit. Danke!

Dr. Dejaco: Thomas, ich danke dir!

Moderator: Essen sensible Bäuche anders? Was wir essen hat nicht nur Einfluss auf unsere Stimmung, sondern auch auf unseren Körper. Wieviel Einfluss die Ernährung auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung hat und ob Ernährung den Grad der Symptome verbessern kann, erfährst du, wenn du nächstes Mal wieder dabei bist, wenn wir mit unseren Expertinnen Oberärztin Dr. Sonja Gassner und Maria Benedikt über den Stellenwert von Ernährung bei CED sprechen. Hat dir unser Podcast gefallen? Dann gib uns gerne fünf Sterne, erzähle anderen davon, teile ihn auf deinen Social-Media Profilen und hilf somit Bewusstsein und Aufklärung rund um Autoimmunerkrankungen zu verbreiten. Dieser Podcast wird in Zusammenarbeit mit Pfizer Austria zur Verfügung gestellt. Zu hören ist der Podcast auf Spotify und auf www.pfizer.at

Du hast Fragen zu Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa? Dann wende dich an die Österreichische Morbus Crohn Colitis ulcerosa Vereinigung unter www.oemccv.at oder informiere dich auf www.ced-kompass.at

Wir freuen uns darauf, dich bei der nächsten Folge von „Verrücktes Immunsystem“ wieder mit wertvollen Informationen versorgen zu dürfen.

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